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02.12.2022

Hilfe die Soldaten kommen

17. Fachtag „Demenz und Sterben“ setzt sich mit Kriegstraumata von Menschen mit Demenz auseinander

Nürnberg – Menschen mit Demenz leben im „Hier und Jetzt“ und nehmen aufgrund von kognitiven Einschränkungen Reize oft in verzerrter Weise wahr. Sie sind dadurch besonders gefährdet, frühere traumatische Erlebnisse so zu erleben als wären sie aktuell und bedrohlich. Ausgelöst durch die aktuellen Kriegsberichte ist ein Großteil der Pflegemitarbeitenden mit reaktivierten Traumata konfrontiert. Der 17. Fachtag „Demenz und Sterben“, der am vergangenen Freitag im Haus Eckstein in Nürnberg stattgefunden hat, lieferte Informationen und Ideen, um mit der Hilfs- und Sprachlosigkeit in diesen Situationen umzugehen. Der mit rund 100 Teilnehmenden sehr gut besuchte Fachtag, bot für viele Gelegenheit, die Thematik überhaupt einmal zur Sprache zu bringen.

Nach der Begrüßung durch Diakon Dirk Münch, Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Hospiz Team Nürnberg e.V., sandte Dr. Christine Schwendner vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege Grußworte an alle Teilnehmer*innen. Sie betonte die Aktualität des Themas und den hohen Informationsbedarf bei Pflegenden und Angehörigen. „Traumata sind bisher noch kein sehr beachtetes Thema, da Tod und Sterben immer noch zu den Tabuthemen gehören“, so die Staatsministerin. Doch ein Drittel aller Älterwerden stirbt mit Demenz. Prof. Dr. phil. Dr. med. Rolf-Dieter Hirsch, der ehemalige Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie des LVR-Klinik in Bonn, der als Experte geladen war, brachte den Teilnehmer*innen im weiteren Verlauf des Vormittags nahe, wie wichtig es ist in Situationen, in denen Betroffene sogenannte „Flash-Backs“ erleben, diese ernst zu nehmen. „Es ist wichtig, dass das Irreale verstanden und nachempfunden wird, so absurd es auch sein mag“, so Hirsch.

PTBS-Betroffene müssen ernst genommen werden

Mit anschaulichen Fallbeispielen lieferte Hirsch im weiteren Tagesverlauf Einblicke in die Arbeit der Praxis. So berichtete er beispielsweise von der Situation eines Mannes, der an Demenz erkrankt ist: „Ein älterer Herr, schwer pflegebedürftig liegt in seinem Bett in einer Pflegeeinrichtung und es ist alles nicht mehr ganz einfach. Eines Tages schreit er voller Angst und Panik: „Die Soldaten kommen!“ Durch das Pflegepersonal ist er überhaupt nicht mehr zu beruhigen. Es kommt ein junger Pfleger, der die Situation sieht und hört. Er blickt aus dem Fenster und sieht mehrere schwere Lastwagen vorbeifahren. In diesem Moment schaut der Pfleger erneut aus dem Fenster und sagt zu dem älteren Mann: „Keine Panik es sind die Unseren.“

Der Schlüssel um die Situation aufzulösen, war in diesem Moment, das Verständnis des Pflegers und das Erkennen, der Retraumatisierung des älteren Mannes.

Wie heftig, verstört oder nachhaltig ein Mensch auf ein traumatisches Erlebnis reagiert, hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann individuell sehr unterschiedlich sein. Kriegserlebnisse, erlebte Gefangenschaft oder wiederholte Gewalt, zählen allesamt zu traumatischen Ereignissen. Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) können von Menschen mit dementiellen Erkrankungen nicht mehr verbalisiert werden. So empfindet der betroffene Mensch in der Situation Angst und Panik und erlebt den Moment als Realität. „Man hat nur eine Chance, wenn man diese Realität ohne Punkt und Komma versteht und auf sie reagiert“, erläutert Hirsch. Als weitere Herausforderung nennt der ehemalige Chefarzt die Vielfalt der traumatischen Trigger. „Alles, was an irgendeinem Aspekt des Traumas, bewusst oder unbewusst erinnert, kann als Trigger fungieren.“ Oft werden im Alter Traumata häufiger reaktiviert. Der persönliche Lebensraum bei älteren Menschen ist zunehmend eingeschränkt und auch biografische Lebensrückblicke oder erhöhte Abhängigkeit von Anderen können ein Faktor für Retraumatisierung sein. Die Gefahr, beispielsweise im Pflegealltag kann sein, dass PTBS übersehen werden, da die traumatischen Erlebnisse schon so weit in der Vergangenheit liegen. So schärfte Hirsch bei den Teilnehmenden, genau hinzusehen in der Praxis und die Fantasie die man hat und die durch die betroffene Person ausgelöst wird zu nutzen, denn oft führt dies zum Verstehen und gibt neue Handlungsmöglichkeiten. Abschließend betont er, die Bedeutsamkeit von emotionalem und respektvollem Handeln und ergänzt: „Wir reden nicht nur über die Bewohner*innen, sondern auch über die Kolleg*innen, beide Seiten brauchen Verständnis. Wir müssen den Menschen dort abholen wo er aktuell steht.“

Veranstalter des Fachtags waren die Akademie für Hospizarbeit und Palliativmedizin Nürnberg, Diakoneo, die Angehörigenberatung Nürnberg, das Zentrum für Altersmedizin am Klinikum Nürnberg und die Rummelsberger Diakonie. Unterstützt wurde der Fachtag von den Schöller-Stiftungen und der Alzheimer Gesellschaft Mittelfanken.


Von: Lara März

Die Begleitung von Menschen mit dementiellen Erkrankungen fordert ein besonders hohes Maß an Empathie im Pflegealltag.